Magisterarbeit über 3hfa

Eva-Maria Helmsorig hat ihre Magisterarbeit von 1990 über 3hfa zusammengefasst und hier zum Lesen zur Verfügung gestellt:

 

 

Dieser Film macht einfach glücklich (und süchtig!!)

von Eva-Maria Helmsorig

Vorwort

Seit 35 Jahren reitet Aschenbrödel nun in der Winterzeit im Fernsehen durch eine zauberhafte Winterlandschaft, und das wird sich in absehbarer Zukunft auch nicht ändern. Dieser Film ist einfach perfekt und kann, da schließe ich mich der Behauptung des Regisseurs Václav Vorlícek an, nicht besser gemacht werden. Eine große Fangemeinde, die auch heute noch immer weiter anwächst, kann das bezeugen. Und seitdem Kathrin Richter ihre Homepage zum Film im Internet betreibt, in der sie akribisch alle Hintergrundinformationen zum Film gesammelt hat, mit viel Enthusiasmus und Liebe zum Detail, wird das Interesse eigentlich nur noch größer.

 

Dass dieser Film sooo toll ist, wurde schon oft beschrieben. Ich selber habe 1990 im Fachbereich Publizistik meine Magisterarbeit über den "Märchenfilm im Fernsehen" (Münster 1990) geschrieben und die "Aschenputtel"-Filmversion unter der Regie von der 1992 verstorbenen Karin Brandauer (die mit Klaus-Maria Brandauer verheiratet war) mit "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" verglichen. Dabei habe ich anhand medienpädagogischer, märchenspezifischer und filmanalytischer Kriterien (im heißen Monat August !!) versucht herauszufinden, mit welchen Mitteln 3HfA, wie ich den Film im folgenden benenne, so eine Faszination auf seine Zuschauer ausübt.


Der Kontakt zu Kathrin Richter hat mich nun dazu gebracht, mein Werk vom Staub zu befreien und die Ergebnisse noch einmal "kurz" (meine Arbeit hat 179 Seiten) für interessierte Fans zusammenzufassen.

Das Grimmsche Aschenputtel - in Märchenhaftigkeit erstarrt

Die Grimmsche Märchen-Literaturvorlage Aschenputtel gehört zur Gattung der Volksmärchen, genauer noch zu den Zaubermärchen, weil ihre Helden das "Happy End" mit Hilfe von einem Wunder bzw. durch Zauber erreichen. Historisch gesehen war das "gemeine Volk" Träger der Märchen, die oft in feudalen Abhängigkeitsverhältnissen lebten, aus denen sie sich nicht befreien konnten.

 

Im Märchen konnten sie von einer besseren Welt träumen, in der wie eben in "Aschenputtel" ein einfaches Mädchen zur Königin wird - und das eben mit Hilfe des Wunders. Solche Märchen boten somit utopische Gegenentwürfe zur Realität und machten diese durch das Weitererzählen erträglicher.

 

Sicher hatten die jungen Mädchen damals auch ihre Träume, die sie zumindest im Märchen erfüllt sahen, und die ihnen somit zeitweise ihren Alltag verschönerten (so wie es heute das Fernsehen tut).

 

Lebendig blieben die Märchen früher durch das ständige Weitererzählen, die die Inhalte den jeweiligen Temperamenten, aktuellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassten. Nicht zu unterschätzen war dabei auch der Humor, der ja am schnellsten und natürlichsten die unterschiedlichsten Charaktere verbindet.

 

Durch die schriftliche Fixierung durch die Gebrüder Grimm wurden die Märchen jedoch enthistorisiert, im Stil christlichen Denkens stilisiert, ihr sozialkritischer Gehalt abgeschwächt und mit zeitgenössischen, auf das Bürgertum des 19.Jahrhunderts abgestimmten Erziehungsmomenten versehen (wobei die umstrittenen "Grausamkeiten" im Märchen auch eine pädagogische Funktion bekamen - so wie auch der "Struwwelpeter", der in der gleichen Zeit entstand - 1848 - , als die Grimmschen Märchen populär wurden, so eine Faszination gerade dadurch ausübt, dass er die drastischen Folgen des Ungehorsams bildhaft vor Augen führt und bei den Lesern teilweise bis heute ein Angst-Lust Erlebnis auslöst, da das Buch immer noch verkauft wird). Außerdem wurde das Wunderbare betont, um eine reizvolle, realitätsferne Märchenstimmung zu schaffen.

 

In diesem Sinne "erstarrten" also die Märchen, so dass sich auch heute noch viele Untersuchungen auf die tiefenpsychologische Untersuchung der Märchen beschränken.

Die Figuren in 3HfA - modern und lebendig

3HfA dagegen wirkt so besonders lebendig und reizvoll, weil der Regisseur Václav Vorlícek zum einen die Märchenfiguren im Film mit sowohl prominenten, also "ernst zu nehmenden Schauspielern", und auch vielen jungen Talenten besetzt hat, was damals für Kinderfilme nicht üblich war, und damit den Film vom Anspruch her mit einem "Erwachsenen-Film" gleichgesetzt hat. Zum anderen hat er die Märchenfiguren im Film aus ihrer "Erstarrung" gelöst.

 

Das hat er einmal dadurch erreicht, dass er z. B. die unsympathischen Figuren auch aus einem humorvollen Blickwinkel sieht (so gibt er an vielen Stellen die Stiefmutter, Dora, den Präzeptor, die heiratswütigen jungen Frauen der Lächerlichkeit preis, so dass die Extreme des Märchens - Gut und Böse - sowie die schicksalhaften, durch gesellschaftliche Umstände verfestigten Abhängigkeiten aufgelöst werden).

 

Mit Kindern, die primär die Adressaten dieses Films waren, solman natürlich nicht nur ernst, sondern auch "scherzhaft und humorvoll" sprechen, so formulierte es Vorlícek in einem Brief an mich 1990, "denn so erkennen sie die Wahrheit, die hinter den Dingen steht, einfacher als mit erhobenen Zeigefinger. Und wenn die Zuschauer lachen", so Vorlícek, "dann sind sie gewonnen. Menschen lachen gern und im Lachen finden sie Entspannung".

Aschenbrödel - ein Bild gewordener Traum

Den Charakter der zentralen Figur des Films - Aschenbrödel - hat Vorlícek im Gegensatz zu den klischéehaft dargestellten Nebenfiguren und auch im Gegensatz zu der eindimensional erscheinenden Aschenputtel-Märchenfigur ausdifferenziert und so "modernisiert", also emanzipiert (den Vorstellungen in den 70er Jahren entsprechend und zum Glück frei von jeder Ideologie) , dass sich auch heutige Zuschauerinnen noch immer gern mit ihr identifizieren.

 

"Aschenbrödel" wird nicht wie in der Märchenvorlage nur durch die Zauberdinge, die drei Haselnüsse, zur Frau des Prinzen, sondern sie erreicht durch ihr aktives Handeln, ihren Mut und Optimismus, der sie dazu bringt, an das Gute zu glauben, ohne die negativen Seiten des Lebens zu verkennen, Liebe und Glück. Damit kann sie auch zum Vorbild besonders für die jungen Zuschauerinnen werde, die so wie Aschenbrödel noch auf dem Weg der Persönlichkeitsbildung, zum Erwachsen werden sind.

Die Asche

Foto: Wencke Hülsemann
Foto: Wencke Hülsemann

Dass Aschenbrödel am Anfang des Films noch ein pubertierendes Mädchen ist (das allerdings genau weiß, was sie will), wird einerseits symbolisiert durch die Asche (Tiefenpsychologie!!), doch die Asche ist in 3HfA noch mehr, nämlich ein Symbol für die harte Arbeit, die sie verrichten muss. Jedoch leistet sie dagegen Widerstand, z.B. als die Stiefmutter sie auffordert, ordentlicher zu fegen. Da fegt sie so heftig, dass sie die Stiefmutter und Dora gänzlich in Aschenstaub einhüllt, bis die beiden hustend flüchten.

 

Als Aschenbrödel jedoch davon träumt (wie jeder normale Teenager), auch zum Ball des Prinzen mitgehen zu dürfen, da legt ihr die Stiefmutter im wahrsten Sinne des Wortes "Steine" in den Weg, Linsen und Maiskörner, die sie verlesen muss. Damit zeigt sie ihr auch, wo ihre gesellschaftliche Stellung ist, nämlich ganz unten.

Die Tauben

Doch da treten die Tauben auf, die, da sie weiß sind, auch heute noch oft als "Hochzeitstauben" eingesetzt werden, für Liebe und Glück stehen, durch ihr Weiß auch Unschuld und Reinheit symbolisieren, so wie auch Aschenbrödel noch im Stand der "Unschuld" ist. Die Tauben, von Aschenbrödel als "meine Freunde" bezeichnet, sind hier auch magische Helfer, bieten Lichtblick und Hoffnung, haben aber lange nicht mehr die bestimmende Rolle wie in dem Aschenputtel-Märchen.

Aschenbrödel kann wirklich reiten!!

Darüber hinaus kommt Aschenbrödel so gut bei den Zuschauern an, weil Václav Vorlícek mit Libuse Safrankova als "Aschenbrödel" einen Glücksgriff getan hat. Sie ist nicht nur äußerlich eine absolut bezaubernde, anmutige und liebreizende Erscheinung, die frisch und natürlich erscheint, weder eitel noch eingebildet ist. Außerdem konnte sie damals (oder auch heute noch??) wirklich gut reiten – was die Reitszenen absolut natürlich, authentisch und dynamisch erscheinen lässt, Aschenbrödels "Wildheit", ihren Mut und auch Verwegenheit unterstreicht.

Die drei Zaubernüsse - nicht nur "Eichhörnchenfutter"

Die Zauberdinge - die drei Haselnüsse - werden somit zu Hilfsmitteln, die vorbestimmen, was Aschenbrödel als nächstes unternehmen kann, um das Herz des Prinzen zu gewinnen (sie geht auf die Jagd, reitet zum Ball und erscheint im Hochzeitskleid, als der Prinz so weit ist, ihr Rätsel zu lösen). Dabei will sie nicht nur um ihrer Schönheit willen geliebt werden, sondern in ihrer gesamten Erscheinung auch als Jägerin, Reiterin und als aschenbeschmiertes Mädchen, das gut klettern kann und deshalb vom Prinzen als "Eichhorn" bezeichnet wird.

 

So wird sie auch von der Stiefmutter betitelt, die argwöhnisch begutachtet, was Vincek ihr von der Kutschfahrt in die Stadt mitbringt. Herablassend und spöttisch begutachtet die Stiefmutter die drei Haselnüsse (die der Prinz selbst herab schießt, um damit den schlafenden Vincek zu wecken – ein genialer dramaturgischer Schachzug, da damit der Prinz selbst Aschenbrödel die Nüsse zuspielt, mit deren Hilfe sie seine Liebe gewinnt) und verkennt dabei ihre magische Bedeutung, die noch verstärkt wird durch die Symbolkraft der Nuss - Vitalität, Widerständigkeit und Lebenskraft. Optisch wirkt es dann auch sehr gelungen, dass Libuse Safrankova "haselnussbraune" Augen und Haare hat.

Aschenbrödel in ihren drei Kostümen

Dadurch, dass Aschenbrödel mit Hilfe dieser Nüsse zudem in verschiedenen Rollen auftritt, statt wie im Märchen drei Mal hintereinander auf dem Ball zu erscheinen, wurde die Märchenhandlung aufgepeppt und dramaturgisch aufgewertet.

 

Jede der drei Szenen, in denen Aschenbrödel in verschiedenen Kostümen auftritt, übertrifft die vorherige an Spannung bis zum Höhepunkt, wo sie im strahlend weißen Brautkleid erscheint.

 

Interessant auch, dass hier erstmals eine Märchenheldin als Mann - also hier als Jäger - verkleidet auftritt. Damit zeigt sie, dass sie in der Männerwelt, in der der Prinz (noch) zu Hause ist, durchaus bestehen kann. Sie imponiert ihm dann auch dadurch, dass sie durch ihre Schießkünste zum Jagdkönig gekürt wird.

 

Ihr schüchternes "Bist du jetzt böse?" signalisiert allerdings, dass sie doch Angst hat, den Prinzen verärgert zu haben - da enttarnt sie sich fast als kleines Mädchen, dass sich ihrer Rolle gar nicht sicher ist.

 

Auf der Flucht wird sie auch schnell wieder zum Aschenbrödel, das den Prinzen neckt und wieder "wie ein Eichhorn" im Baum hockt, weil sie so gut klettern kann. Da zeigt sie dem Prinzen eine lange Nase, wie es für ein freches Mädchen typisch ist.

Der Prinz

Der attraktive Prinz (Darsteller Pavel Trávnícek hat selber noch mit über 50 Jahren eine blonde Schönheit gefreit hat!!, wenn auch nicht von Dauer) selbst wandelt sich in diesen drei Szenen vom zwar sympathischen, jedoch auch rüpelhaften, oberflächlichen Flegel ("Ich habe mein Herz für immer dem Waidwerk und den Pferden verschrieben"), der nach dem Lustprinzip lebt, zu einem zielstrebigen, verantwortungsbewussten Bräutigam, der Aschenbrödels ganzes Wesen und nicht nur ihren Liebreiz wahrnimmt, als er ihr Rätsel löst und sie um ihrer selbst Willen lieben lernt. Aschenbrödel zeigt sich ihm dabei in allem ebenbürtig und keineswegs abhängig von seiner Liebe und Gnade, sondern ist eine gleichberechtigte, freiheitsliebende Partnerin.

 

Der Prinz erweist sich durch sein Benehmen in 3HfA also als den heutigen Jugendlichen ähnlich, so wie er durch sein freches, aufmüpfiges Benehmen besticht, sich gegen seine Eltern auflehnt, einen kleinen Machtkampf mit seinem Vater austrägt ("Ich bitte meine Offenheit zu entschuldigen, aber ich wurde dazu erzogen"). Bei allem Witz, den er zeigt, bleibt er jedoch fair (als er z.B. Aschenbrödel zum Jagdkönig macht).

Märchenhafte Überhöhung durch historische Detailgetreue

Mariä Geburt (Ausschnitt)
Mariä Geburt (Ausschnitt)

Die Märchenhaftigkeit in 3HfA bleibt bei aller Modernisierung der Figuren jedoch dadurch erhalten bzw. wird sogar unterstützt, dass Ausstattung, Kostüme und Sozialordnung historisch detailgetreu an die Zeit des späten Mittelalters angelehnt sind, der Regisseur sich dabei von jedem "Kitsch" distanziert hat.

 

Das Leben auf dem Gutshof und im Schloss spiegeln eine in den damaligen Königreichen vorherrschende Ständeordnung und Abhängigkeiten wieder, wie sie im 15. Jahrhundert von Adel, Bürgertum, Gutsherrschaft bis zum Gesinde, Gefolge und Dienerschaft, Bauern und Leibeigene üblich war.

 

Auch die Drehorte, z.B. das Schloss Moritzburg in der ehemaligen DDR und auch das Wasserschloss Švihov in der ehemaligen Tschechoslowakei, dienen dazu, dass historische Ambiente zu überhöhen, das Geschehen in diesem historischen Rahmen glaubwürdiger zu machen und die Zuschauer "an die Hand" und in das Märchen mit hinein zu nehmen.

Aktives Handeln statt märchenhaftem Wundergeschehen

Die utopische Wirkung der Volksmärchen, gesellschaftliche Schranken mit Hilfe von Wundern zu durchbrechen, wird in 3HfA wie oben schon erwähnt, durch Aschenbrödels Mut, ihre Intelligenz und Liebe zum Prinzen ersetzt, bietet den Zuschauern also ein aktives Handlungsmuster an - wenn man sein Leben selber in die Hand nimmt, dann ist man nicht abhängig von zufälligen Wundern und einem vorbestimmten Schicksal.

Aschenbrödels Omnipotenz (sie kann einfach alles)

Märchenhaft ist natürlich auch die "Omnipotenz" Aschenbrödels - sie ist einfach wunderhübsch, kann perfekt reiten und schießen, ist intelligent und selbstbewusst mit einer Spur Koketterie, die ihre Person noch reizvoller erscheinen lässt, ist vor allem aufgrund ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bei den Dienstboten beliebt, dabei zu Späßen und Übermut aufgelegt. Welche Zuschauerin, egal welchen Alters, möchte sich nicht mit so einem Mädchen identifizieren?

Ihre Kostüme, das braune Dienstbotenkleid, ihr aschenbeschmiertes Gesicht, das ihrem zarten Gesicht eine rührende Anmut verleiht, die Felljacke, die sie in der Kälte draußen trägt und ihr (wie auch das Reiten) etwas Wildes und Verwegenes verleiht, später das duftige, pastellfarbene Ballkleid mit dem verführerischen Schleier und dem Vogelmotiv auf dem Rücken (Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit, Stolz und Edelmut) gepaart mit ihrer körperlichen Präsenz (der König bemerkt zu seiner Frau: "Sieh dir doch mal ihre Haltung an"), das weiße, silberdurchwirkte, edle Brautkleid, als sie auf ihrem Schimmel sitzt und mit einer Krone auf dem Haupt durch den Schnee mit dem Prinzen davon reitet, all diese Bilder verleihen der Phantasie des Zuschauers Flügel, so dass man mit ihr davon schweben möchte in ein schöneres, besseres, glückliches Leben voller Liebe und Leidenschaft - eine perfekte Utopie, so wie es Ziel und Zweck jeden Märchens ist.

Die Tiere

Darüber hinaus liebt Aschenbrödel Tiere, vor allem ihr Pferd Nikolaus!, das viele junge Mädchen anspricht, die selber reiten oder davon träumen. Nikolaus ermöglicht ihr abseits ihres Dienstbotendaseins ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit, wo sie ihr Temperament ausleben kann und glücklich ist. Er ermuntert sie am Fuß der Schlosstreppe wiehernd, doch zum Ball zu gehen, als sie ihn zögernd anschaut. Nikolaus ist "alles, was ihr vom Vater geblieben ist", ersetzt ihr in diesem Sinne also den väterlichen Beistand.

Die Eule Rosalie dagegen hat eine magische Funktion, einmal als Hüterin von Aschenbrödels Schätzen (unter anderem einer Brosche ihrer Mutter und den drei Haselnüssen), zum anderen durch ihre Allwissenheit, mit der sie Aschenbrödel ermuntert, die Zaubernüsse zu öffnen.

 

Dadurch tritt sie als weise, gar mütterliche Beraterin auf, denn sie ersetzt die Wunder-Szenen am Grab der Mutter in der Grimmschen Aschenputtel-Version. Und auch kurz vor Schluss des Films erfüllt die Eule Rosalie, als der Prinz, nachdem er entdeckt, dass Dora nicht die ist, die er sucht, und er schon frustriert die Suche aufgeben will, eine wichtige Rolle. Mit einem Flügelschlag heißt sie ihm, ihr zu folgen und so fliegt sie ihm voraus zum Gutshof zurück, wo sein Glück auf ihn wartet.

Die Schneelandschaft - einfach zauberhaft

Märchen- bzw. zauberhaft ist auch die weiß-glitzernde Schneelandschaft im Böhmer Wald, die mit blauem Himmel und Sonnenschein jeden Wintertrübsinn vertreibt. Als stimmungsvoller Rahmen der Handlung geben sie dem ganzen Geschehen eine emotionale Verstärkung, ergänzen und illustrieren die romantische Atmosphäre, die dadurch poetisch verdichtet wird.

 

In den Szenen im Wald ruft der Kontrast zwischen schützender Schneedecke, die die schlafende Natur symbolisiert, und den kahlen Bäumen mit dem durch die Bäume fallenden Tageslicht eine geheimnisvolle, ruhige Stimmung hervor.

Mitten hinein platzt die oft fröhliche, lebhafte und auch spannende Handlung (Aschenbrödels Flucht bzw. Verfolgung durch den Prinzen), die dadurch reizvoll und akzentuiert wirkt, da keine bunten Naturfarben ablenken. Selbst die Kostüme sind in diesen Szenen in Erdtönen gehalten.

 

Da 3HfA nun auch immer Weihnachten ausgestrahlt wird, wo das Gemüt der Zuschauer offen ist für Wunder und Phantasie, ist der Winter als Märchenrahmen vom Regisseur perfekt ausgewählt worden.

Die Filmsprache ersetzt den Märchenerzähler

Doch wie hat er es geschafft, die Erzählsprache des Märchens fast eins zu eins durch die Filmsprache zu ersetzen?

 

Das Geheimnis verbirgt sich vor allem hinter der erzählenden Kamera, die in langen Einstellungen mit viel Kamerabewegung eine phantastische und poetische Atmosphäre erzeugt. Nie wirkt das Geschehen hektisch, es herrscht eine ruhige Erzählhaltung vor mit Verständnis- und Atempausen für die Zuschauer.

Die erzählende Haltung wird dadurch erreicht, dass die Kamera oft kleinste Bewegungen verfolgt und die Handlung genau durch das Kameraauge auch mittels Zoom, Schwenks und Kamerafahrten nachvollzieht. Vor allen in den Dialogen ersetzt das Kameraauge dabei das Auge des Gegenübers der handelnden/sprechenden Personen, nimmt dessen Perspektive ein.

 

Oft "kriecht" die Kamera förmlich mit Hilfe des Zoom in das Geschehen hinein. Die Größeneinstellungsgrößen werden dadurch sehr flexibel und geben die jeweilige Intensität des Geschehens in Bezug auf Nähe und Distanz angemessen wieder. Dazu werden viele Detail- und Großaufnahmen gezeigt. Diese Mittel ermöglichen den Zuscheuern ein emotionales Miterleben der Handlung und lassen sie quasi zu Aschenbrödels "Vertrauten" werden.

Der Tanz auf dem Ball - wir alle sind verliebt!!

Die "bewegendeste" Szene in 3HfA ist dabei wohl die, in der der Prinz mit Aschenbrödel tanzt, wo die Kamera abwechselnd im Schuss-Gegenschuss Verfahren den Blickwinkel des Prinzen (aus der Obersicht, da er größer ist als Aschenbrödel) oder Aschenbrödels (dementsprechend aus der Untersicht) übernimmt, die beiden in Großaufnahme und dann auch noch in Zeitlupe präsentiert und die Tanzdrehungen in der Kamerafahrt verfolgt.

Die Szene erreicht damit eine hohe Intensität und verdichtet dabei die romantische Atmosphäre so stark, dass sich der Zuschauer förmlich in das Geschehen hineingezogen fühlt. Er spürt dabei hautnah die knisternde Spannung, die zwischen den beiden herrscht.

 

Ich selber habe nach dem Betrachten dieser Szene das Gefühl, als sei ich gerade frisch verliebt, was durch die Großaufnahme der verzauberten Gesichter der beiden noch verstärkt wird.

Aschenbrödels Ritt ins Eheleben (und auf dem Kameramann!!)

Auch zum Schluss, als Aschenbrödel mit dem Prinzen durch den Schnee davon reitet, sieht man Aschenbrödels Gesicht aus der Untersicht, wie sie auf dem Pferd sitzt und glücklich lächelt. (Václav Vorlícek hat in der WDR-Dokumentation verraten, dass Libuše dabei auf einem Sattel auf dem Kameramann sitzt, der von einem Schlitten gezogen wird!!)

Licht und Farben

Auch die gesamte Licht- und Farbdramaturgie unterstreicht die poetische Erzählhaltung des Films, geben zusammen mit Ausstattung und Kostümen sowie einer dem Handlungsrahmen entsprechenden wohl komponierten Szenerie ein gemäldeartiges Bild ab.

 

Z.B. rufen gedämpftes Licht im Ballsaal oder auch die strahlenden Lichtverhältnisse im Schnee eine romantische Atmosphäre hervor, während die Szenen in der Ballnacht, draußen auf den verschneiten, mondbeschienen Wegen, als der Prinz Aschenbrödel flieht durch die Nacht und sie der Prinz verzweifelt sucht, geheimnisvoll und spannungsgeladen erscheinen.

Die Filmmusik - unvergessen Karel Svoboda

Foto: Marcel Wisler
Foto: Marcel Wisler

Und nicht zu vergessen die wunderbare Filmmusik - an vielen Stellen schon besungen - des leider verstorbenen Komponisten Karel Svoboda, die die Handlung mitträgt und überhöht.

 

Wie groß auch der Kontrast der Musikstücke in der Ballszene, als der Prinz völlig genervt und erschöpft mit all den "Schnepfen" tanzt zu barocker Musik (mit Pauken und Trompeten), abbricht und flüchten will, dann direkt Aschenbrödel in die Arme läuft, als sie gerade den Saal betritt, die ihn jedoch im Gegensatz zu den heiratswütigen anderen jungen Frauen bei seiner Flucht nicht aufhalten will.

 

Magisch angezogen wird er von ihrer zauberhaften Erscheinung, dann spielt die Musik auf und es ertönt ...die zauberhafte Aschenbrödel-Melodie mit Flöten, Cembalo und Glockenklang - einfach himmlisch.

Der Schuh

Und ganz zum Schluss, da darf auch der Schuh als wichtigstes Aschenputtel-Symbol nicht fehlen. Hier ist er nicht aus Glas, sondern geschmackvoll mit Brokat bestickt und passend zum Kleid.

 

Die Grausamkeit, die in der Grimmschen Version durch das Ferse Abhacken entsteht, weil die Stiefschwester den Prinzen gewinnen will, wird in 3HfA ersetzt durch den Sturz der Stiefmutter und Doras in den eiskalten Teich.

 

Wie befreiend ist doch diese Szene für die Zuschauer, die zum Lachen und zur Schadenfreude darüber animiert, dass die beiden gemeinen Personen ihrer gerechten Strafe durch die Hand des Prinzen zugeführt werden, als der Prinz beim Blick in Doras Gesicht sofort entdeckt, dass sie die falsche ist und die Kutsche umstößt.

 

Hier wird schon deutlich, der Schuh ist nicht das alleinige Mittel, mit dem der Prinz Aschenbrödel erkennt - im Gegensatz zum Grimmschen Märchen.

 

Als er endlich wieder auf dem Gutshof ankommt und Aschenbrödel ihm auf Nikolaus entgegen reitet, sieht er sofort, dass sie es, die er sucht und sie sagt diesen wunderbaren Satz: "Ah, du hast mir meinen Schuh wiedergebracht und ich bringe dir den Ring des Königs der Jagd!"

Von der Meisterschützin zur Braut

Damit signalisiert sie ihm, dass er nun die Richtige gefunden hat, gleichzeitig gibt sie ihre Rolle als Jägerin ab und ihm seine Souveränität als Jagdkönig zurück, hält sich also aus der Männerwelt heraus (raffiniert - das "Eva"-Prinzip, Eva Herrmann würde sich freuen!), denn sie selber hat nun ihre Rolle als Braut und erwachsene Frau gefunden. 

 

Trotzdem hat sie sich in ihrer neuen Rolle nun mit ihm endgültig als ebenbürtige Partnerin auf eine Ebene gleich gestellt.

Zwar prüft sie ihn dann noch mit dem Rätsel, eher spielerisch und kokett, denn er hat schon durch seine hartnäckige Suche ihre "Probe" bestanden. Doch er löst es ohne Zögern und erkennt damit ihre Fähigkeiten und Charaktereigenschaften sowohl als kleines, schmutziges Mädchen als auch als Meisterschützin an, die er schon geehrt hat, und erkennt in ihr ebenso die verführerische, stolze Tänzerin (die sich ihm nicht "hingegeben" hat, sondern im Gegenteil flüchtete, weil er das Rätsel nicht lösen konnte).

 

Im Grimmschen Märchen dagegen ist es Aschenputtel, die erst die "Anprobe" bestehen muss, bevor der Prinz sie heiratet.

Märchenhafte Phantasiewelt - romantisch und poetisch mit viel filmischem Können dargestellt

In der Zusammenschau aller vorgebrachten Aspekte zeigt sich also, dass 3HfA es schafft, die ganze Filmhandlung hindurch die Zuschauer in eine märchenhafte Phantasiewelt zu entführen, die durch ihre historische Originalgetreue durchaus real und glaubhaft und dadurch noch faszinierender wirkt.

 

Erreicht hat Václav Vorlícek das auch dadurch, dass er das Phantastische (auch mit Hilfe der Tricktechnik, die sich aus heutiger Sicht mit einfachen Mitteln beholfen hat) so in den Film eingebaut hat, dass der Zuschauer es "für bare Münze und nicht für irgendeinen Mummenschanz hält" (G. Müntefering, s.u.). Er hat die phantastischen Elemente also nicht isoliert, sondern lebensecht in den historischen Rahmen des Märchens eingebunden, so dass dynamische Kräfte frei werden, die das emotionale Erlebnis verstärken und den Film lebendiger und intensiver spürbar machen.

 

Vorlícek selber beschrieb es so: "Es geht darum, den Zuschauer in möglichst kurzer Zeit der Geschichte dahin zu führen, dass er glaubt, Unmögliches sei möglich und er die SPIELREGELN des Märchens annimmt. Sobald er also Unmögliches als Real annimmt, dann spielt er das Spiel mit mir."

 

Außerdem hat Vorlícek, wie oben beschrieben, die Charaktere seiner Märchenfiguren glaubhaft und psychologisch motiviert, so dass sie dadurch wie heutige moderne Menschen handeln. Gleichzeitig hat er es geschafft, die Weisheit, die in (oder hinter) dem alten Märchen steckt, ebenfalls glaubhaft und sinnlich - also romantisch und poetisch - zu vermitteln.


Das geschieht wie oben aufgelistet mit viel filmischem Können (Kamera, Ton, Licht, Farben, Musik) unterstützt von einer humorvollen und emotionalen bis zum Schluss spannenden Handlung, die ohne spektakuläre Szenen und Sensationen auskommt.

Die Weisheit der alten Märchen - mit Gefühl und Humor vermittelt

Man spürt, hier gehen die Gefühle dem Wissen voraus und mit ihrer Unterstützung kann man die Wahrheit erfühlen, die hinter den Dingen liegt, so wie es auch der Humor schafft, neue Erkenntnisse zu vermitteln, ohne wie in den Grimmschen Märchen belehren zu wollen (was ja niemand gerne mag).

 

In der Poesie der Filmsprache werden dabei die Sehnsüchte nach Liebe, Träumen und Abenteuern erfüllt. Darüber hinaus finden die Zuschauer ihren Seelenfrieden in dem Wissen um die Weisheit der Märchen, dass das Gute, die Gerechtigkeit und die Liebe siegen, so formulierte es Ota Hofmann (der Erfinder von "Pan Tau" und Regisseur des ebenfalls genialen Märchenfilms "Die kleine Meerjungfrau" nach H.C. Andersen), unter dessen dramaturgischer Leitung 3HfA entstanden ist.

So können wir auch heute noch das Werk echter Filmkünstler bestaunen, das in einer einfachen, ungekünstelten, natürlichen Sprache gehalten ist, die sich an den Jargon der 70er Jahre Jugend anlehnt und noch immer so modern wirkt, dass sich die Zuschauer auch heute noch darin wieder finden können.

 

Daran anfügen möchte ich noch ein Zitat von Ota Hofmann (links): "Die Kunst, der große Zauberer, kann weinen und lachen machen, den Hunger nach großen Erlebnissen, kühnen Taten und phantastischen Abenteuern stillen... ..., kann den Zuschauern helfen, die Kräfte der Phantasie weit hinaus zu spannen und über sich hinaus zu wachsen und Eins werden mit allem Begeisterndem, Staunenswertem, Kühnen und Großen."

Visionäre des Kinderfilms als "Paten" von 3HfA

Gerd Müntefering hat 3HfA Anfang der 70er Jahre als Programmleiter des WDR-Kinderfernsehens und Vater der "Sendung mit der Maus" für den WDR eingekauft, weil er in der damaligen Tschechoslowakei "eine vielgestaltige Programmlandschaft für Kinder fand, in der Talente ungestüm und rigoros zu erzählen verstehen..., wo breite asphaltierte Lernstraßen aufgelöst werden in viele wilde Wege..."

Evas Onkel Albert
Evas Onkel Albert



Nicht zu vergessen sind da auch Filme wie "Das Mädchen auf dem Besenstiel" (ebenfalls unter der Regie von Václav Vorlícek, 1972), das meine ersten Kinderfilm-Seherfahrungen entscheidend geprägt hat, weil da die Hoffnung aufkeimte, das sich etwas Neues entwickelte, und ebenfalls nicht zu vergessen die Serie "Die Märchenbraut" (auch R: Václav Vorlícek, über die ich ursprünglich schreiben wollte) - alle Werke mit dem unvergleichlichen Vladimír Menšík, der mich immer an meinen Lieblings-Onkel Albert erinnert hat (noch mit über 70 Jahren hat ihn sein damals 3jähriger Großneffe David, dessen Eltern berufstätig sind und mit dem Onkel Albert viel Zeit verbracht hat, gefragt: "Onkel Albert, wer passt denn heute auf uns auf?" - Eine schönere Liebeserklärung gibt es doch gar nicht, oder?!).

 

Und um noch einmal Ota Hofmann zu zitieren: "Ich glaube, dass man nirgendwo so viel experimentieren muss, wie im Märchenfilm. Ihn konventionell zu machen, wäre Betrug."

 

 

 

Eva-Maria Helmsorig, 6. Februar 2007, 1:24 Uhr, 7. Februar 17:11 Uhr, 8.2. 19.10 Uhr